Genug mit den Hamsterkäufen

Der Einzelhandel in Zeiten von Corona

Wir Deutschen haben das perfekte Wort dafür: Hamsterkäufe. Es bedeutet kaufen und wieder kaufen – so wie ein Hamster seine Backen vollstopft. Und der moderne Einzelhandel ist auf Hamsterkäufen aufgebaut – vom traditionellen bayrischen Dorfladen bis zum asiatischen Mega-Einkaufszentrum.

Doch schon vor den Einschränkungen durch Corona waren für den stationären Einzelhandel schwere Zeiten angebrochen; es schien, als würden wir unsere Hamsterinstinkte verlieren und die Kundenzahlen in den Geschäften gingen zurück. Der Online-Handel nahm die Schuld auf sich – und übernahm auch das Geschäft.

Was etwas merkwürdig ist. Denn hatten wir nicht alle vor langer Zeit akzeptiert, dass die Funktion des Einkaufens und die treibende Kraft hinter Hamsterkäufen nicht die Versorgung mit Gütern des täglichen Bedarfs war – sondern Unterhaltung?

Dass die ganze Angelegenheit der Versorgung so schillernd sein musste wie das Showgeschäft?

Gesellschaftliches Miteinander

Doch das, was Online aus dem Einkaufen gemacht hat, ist so unglamourös wie man es sich nur vorstellen kann. Wir starren auf unscharfe Miniaturansichten, lesen wie besessen schlecht geschriebene Rezensionen von Leuten, deren Fachkenntnisse zweifelhaft sind, und dann warten wir – warten! – bis jemand unsere lang hinausgezögerte Belohnung einige Tage später in einem anonymen Karton anliefert. Es stimmt schon, dass die „Jetzt kaufen“-Schaltfläche, die Preise und die enorme Auswahl zu einer sofortigen emotionalen Befriedigung führen. Doch wo bleibt das Gefühl des Besonderen, die Feierlichkeit, das gesellschaftliche Miteinander und das „Leute beobachten“ – gemeinsames Kaffeetrinken und gemeinsame Erlebnisse?

Die Einschränkungen durch COVID-19 haben gezeigt, wie sehr wir diese Freizeitaktivitäten vermissen würden, wären sie ganz verschwunden – das heißt, man kann zwar behaupten, dass das Modell der Einkaufszentren und Fußgängerzonen angeschlagen ist, doch man kann es nicht abschreiben.

Jetzt da Einkaufen an sich nicht mehr der unwiderstehliche Publikumsmagnet ist, der es einmal war, suchen beide nach alternativen Attraktionen – und obwohl die Antworten aus unterschiedlichen Richtungen kommen, spielt AV bei beiden eine Rolle.

In den Fußstapfen des Einzelhandels

Einerseits tritt die reine Kunst in die Fußstapfen des Einzelhandels als Attraktion. An Orten wie dem London Barbican Centre wird Kunst in einer immer mehr an Einzelhandel erinnernden Umgebung ausgestellt. Andererseits gibt es The Forum in der niederländischen Stadt Groningen – beschrieben als „Warenhaus mit neuem Erscheinungsbild, das eigentlich nicht viel verkauft“. Hier hat man erkannt, dass, wenn man einen geselligen Ort erschafft, an dem man einfach abhängen kann – dann tun die Leute das auch, bereits mehr als 700.000 seit der Eröffnung im letzten Jahr.

Dann gibt es die Mischform, wie verkörpert von Art on the Mart in Chicago, bei der ein etabliertes Einkaufszentrum Kunst und großflächige Projektionen nutzt, um seine Anziehungskraft über die des Einzelhandels hinaus zu steigern. Fast jedes Beispiel beinhaltet mindestens ein Kino, eine Art interaktives Display sowie Videokunst in ziemlich großer Ausführung um der Kunst willen – alles als alternative Rechtfertigung, sich vom Sofa zu erheben und an der Welt teilzunehmen.

Wir leben in einer schwierigen Zeit, sowohl gesellschaftlich als auch wirtschaftlich, und es wäre einfach zu behaupten, dass die notwendige Stilllegung des öffentlichen Lebens, die wir gerade erleben, das Ende des bereits angeschlagenen Einzelhandels bedeuten muss. Doch wird sie das? Wirklich? 

Geborene Jäger und Sammler

Menschen sind geborene Jäger und Sammler; wir sehnen uns nach der Gesellschaft anderer und haben den innewohnenden Wunsch, uns da draußen unter die Leute zu mischen. Und wenn wir ehrlich zu uns selbst sind, war das oft der wahre Grund, nach dem wir beim Einkaufen gejagt haben. Nicht die Schuhe.

Wenn die gegenwärtige Problematik also endet, was sie auch wird, vielleicht wird es dann die Rolle von AV im Wiederaufbau sein, Einkaufszentren und Fußgängerzonen in Orte zu verwandeln, an denen es ums Ausgehen und um die Geselligkeit geht – ums VerSammeln, nicht ums Jagen. Das werden wir mit Sicherheit nötig haben.